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Kassandra – Die kommentierte Presseschau zur bAV:

Angekündigte Chroniken zwischen Scheitern und Selbstmorden

Unregelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Der erbärmliche Abgang der Aktienrente. Ein Exempel aus Bonn. 30 Years after fordern die Aktuare 300 Prozent mehr. Durchdekliniert: Wer Neuwahlen jetzt will – und wer nicht. Crowding out: Deutschland kann das sogar in der Bürokratie. Und: Die Realsatire weiter im Run off.

inFranken (29. November): „Aktienrente für 2024 gestrichen.“

An dieser Stelle ist die kümmerliche Pathogenese des FDP-Projektes Aktienrente und ihr Downgrading zum Bettvorleger eben so eng und oft begleitet wie ihr Scheitern von Anfang an prognostiziert worden. Nun also der nächste, überfällige Schritt ins Nirgendwo – am Ende auch nur die Chronik eines angekündigten Scheiterns (und nun am Ende von deutschen Medien recht wenig beachtet).

Auf unserem Parkett hat es Fidelitys Christof Quiring übernommen, die Trauerrede zu halten und das zu sagen, was wohl die meisten hier denken:

Die Entscheidung, das Generationenkapital zu verschieben, ist ein herber Rückschlag für die Generationengerechtigkeit in unserem Land und verschiebt das Finanzierungsproblem der gesetzlichen Rentenansprüche weiter in die Zukunft. Es sendet ein schlechtes Signal an die junge Generation.

Das Urteil des BuVerfG zur Schuldenbremse soll die Handlungsfähigkeit künftiger Generationen sichern. Gleichzeitig wird diese durch die Last, die das Rentensystem aufbaut, torpediert. Die Löcher in der Rentenkasse werden bereits heute mit mehr als 100 Mrd. Euro p.a. aus dem Bundeshaushalt gestopft.

Das Generationenkapital zu verschieben, mag dem Bundeshaushalt kurzfristig helfen. Wir müssen jedoch umgehend Maßnahmen ergreifen, um unser Rentensystem vor dem Kollaps zu retten. Je später wir damit starten, eine kapitalgedeckte zusätzliche Finanzierungskomponente aufzubauen, desto größer wird das Finanzierungsloch der staatlichen Rente.“

Hinzuzufügen bleibt mit Blick auf die von Quiring geäußerte Mahnung, dass auch hier ein altes kassandrisches Axiom gilt, welches hier stets mit Blick auf den Fachdialog Rente geunkt wurde: Nämlich dass diese Bundesregierung bald (und „bald“ ist zwischenzeitlich zum „jetzt“ geworden) ganz andere Sorgen hat, als in der Rente große Baustellen aufzumachen.

BaFin (23. November): „Signal Iduna Lebensversicherung a.G.: BaFin setzt Kapitalaufschlag fest.“

Wie die Anstalt vermeldet, hat sie am 31. Mai gegenüber der Signal Iduna einen Kapitalaufschlag auf die Solva-Anforderung festgesetzt. Grund: Mängel in der IT-Geschäftsorganisation, festgestellt bei einer einer Prüfung. Das Unternehmen muss die Mängel nun auf Anordnung der BaFin beseitigen.

VAIT und DORA sind komplexe Themen, die Herausforderungen mit sich bringen, und die Anstalt, die sich hier unterstützend gibt, hatte mehrfach – zuletzt Frank Grund – durchblicken lassen, dass sie mit den Fortschritten nicht durchgängig zufrieden ist, Grund nannte die Ergebnisse gar „ernüchternd“.

Nun haben die Bonner wohl das statuiert, was man gemeinhin ein Exempel nennt.

aktuar.de (30. November): DAV empfiehlt Anhebung des Höchstrechnungszinses für Neuverträge auf 1,0 Prozent ab 2025.“

Das schnelle Zinserhöhungstempo soll sich nun auch im HRZ niederschlagen, fordern die deutschen Aktuare. Man kann auf die moderate Ziffer von 1% verweisen und das vorsichtig finden – oder mit einem Plus von 300% den Vorstoß energisch finden; ganz nach Gusto. Jedenfalls kann man sich ihm sich anschließen. Zeit würde es, nicht zuletzt auch zur Revitalisieriung der BZML (so man diese überhaupt für zukunftsfähig und -nötig hält). Und, wie die Aktuare betonen: Dies wäre die erste Erhöhung seit 1994. Also satte 30 Years after.

OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN

Merkur (23. November): FDP vor Mitgliederbefragung zum Verbleib in der Ampel – was Lindner nun droht.“

NZZ (30. November): „Haushaltsstreit der «Ampel»: Lindners letzte Chance.“

capital (25. November): „Lindner feuert Staatssekretär Gatzer – das könnte sich noch rächen.“

Nun zur in der Headline erwähnten Chronik eines angekündigten Selbstmordes: Kassandra ist mit seinem düsteren Blick auf die FDP alles andere als allein auf weiter Flur. Die NZZ schrieb dieser Tage einen treffenden Kommentar. Bester Satz:

Wo immer dem Grünen-Politiker Robert Habeck in den vergangenen Wochen ein Mikrofon hingehalten wurde, sprach er hinein – und machte den künftigen Wohlstand im Land abhängig von der Anzahl der Milliarden, die sein Ministerium ausgeben könne.“

Ja, und man mag hinzufügen: Dieses Vorgehen verfängt! Bei den mit dem Geld direkt Bedachten ohnehin. Aber über diese direkt gekauften Profiteure hinaus: Die Menschen, gerade die weniger gebildeten, gewöhnen sich daran, haben sich längst daran gewöhnt. Sie gewöhnen sich an einen Beamtenapparat, der für sie denkt, der für sie zahlt (mit ihrem eigenen, vorher entzogenen Geld) und der sie zunehmend durchreguliert und sie über Almosen schlicht kauft (mögen diese ökonomisch auch noch so zerstörerisch wirken, Beispiel Bürgergeld). Und sie glauben am Ende wirklich, dass es über Steuern abgezogenes, von Beamten verteiltes Staatsgeld ist, mit dem sich Wohlstand erzeugen ließe (wie diese Politik en Detail funktioniert, hat Kassandra hier schon vor 1,5 Jahren der Bundesregierung „geraten“). Wie dem auch sei: Das genaue Gegenteil ist richtig.

Nicht so scharf formulierend wie Kassandra, aber am Ende legt doch auch die NZZ Lindner nahe, dass es so nicht weitergehen kann mit der Koalition. Dazu unten mehr.

Apropos Lindner? Der schafft es noch, nebenbei ein Milieu zu verprellen, welches ihm an sich zugeneigt sein sollte:

Man muss schon sehr spezielle politische Instinkte haben, um in der gegenwärtigen Lage als Minister sich von seinem Spitzenbeamten ein offenkundig verfassungswidriges Paket schnüren zu lassen (ohne Wunsch und Wissen Lindners wird das wohl kaum, passiert sein, nein, kann gar nicht passiert sein), dieses verantwortlich in den Haushalt einbringen, politisch ständig zu verargumentieren, sich dann hilflos in Karlsruhe verklagen zu lassen – und wenn es dann schiefgegangen ist, den zuständigen Beamten zu feuern.

Hier übrigens noch eine Ergänzung; wenn die NZZ fragt: „Warum noch einmal zahlt Deutschland an Indien fast eine Milliarde Euro Entwicklungshilfe?“, dann hier insofern die Klarstellung, dass die neue Weltraummacht Indien nicht eine Mrd. Euro (nicht Rupien), sondern deren zehn (verteilt über zehn Jahre) von Deutschland erhält.

Zu möglichen Neuwahlen: Das Thema wird nun auch zunehmend diskutiert, in Politik und Öffentlichkeit. Deklinieren wir die strategische Interessenlage durch:

Gegen Neuwahlen:

– Rot und Grün, weil sie so immerhin noch zwei Jahre im Amt bleiben und wenigstens auf Besserung hoffen können (die natürlich nicht kommt).

– die politische Linke um Wagenknecht und die Rechtslibertären um Maaßen und Krall, denn bei schnellen Neuwahlen wären deren neu zu gründende Parteien noch nicht einsatzbereit – und sie stünden danach vier Jahre im bundespolitischen Nirwana.

Für Neuwahlen:

– die FDP, um wenigstens überhaupt eine minimale Chance zu haben, um besagten angekündigten Selbstmord noch abzuwenden; allerdings scheint der Parteispitze die Chuzpe zu fehlen, alles hier schon vor einer Woche durchexerziert.

– die CDU/CSU, weil sie derzeit einen guten Lauf hat, dessen Andauern nicht sicher ist. Und weil sie jetzt mit einer möglicherweise doch noch überlebenden FDP wenigstens einen Koalitionspartner im bürgerlichen Lager hätte. In zwei Jahren wird sie nach dem Tod der FDP mutterseelenallein eingeklemmt sein zwischen einer AfD rechts und Rot-Grün-Wagenknecht links – und damit nur noch Koalitionen mit Linksparteien bilden können (was die AfD ihr in jedem Wahlkampf vorwerfen wird: „Wer Union wählt, bekommt SPD oder Grüne“). Neue Mini-Rechtsparteien werden außerdem auch die Union ein paar Punkte kosten. Und vielleicht verliert die CDU mit dem neuen Wahlrecht sogar noch die CSU im Bundestag. Nicht zuletzt: Außerdem sind nächstes Jahr im Osten drei Landtagswahlen. Wenn es schlecht läuft für die Union, dann geht die AfD mit einem oder mehreren Ministerpräsidenten im Amt dann in die Bundestagswahl Ende 2025.

Allerdings scheint es, dass all dies in der enttäuschend handzahmen Unionsspitze noch nicht so recht verstanden ist. Möglicherweise beherrscht die Parlaments-Arithmetik dort nur einer einigermaßen gut. Man muss ihn nicht mögen (wie man niemanden mögen muss, außer Kassandra), aber er weiß schon längst, was sie Stunde geschlagen hat.

Übrigens: Indifferent zu Neuwahlen kann die AfD sein. Wird erst in zwei Jahren gewählt, wird sie einerseits davon profitieren, dass bis dahin der Druck im realpolitischen Kessel massiv weiter ansteigen wird, andererseits werden die oben erwähnten Partei-Neugründungen sie sicher auch einige Prozentpunkte kosten. Ihr kann es also eigentlich egal sein, ob jetzt oder in zwei Jahren gewählt wird, für sie hätte beides Vor- und Nachteile. Man hört wenig von ihr dazu, vermutlich setzt sie aber eher darauf, dass mit besagtem Druck im Kessel die Zeit für sie läuft.

Ebenso indifferent die „alte“ Linke. Sie muss eigentlich gar nicht mehr antreten, sei es jetzt oder in zwei Jahren. Zahlreiche ihrer alten Kader werden ohnehin schnell in die Wagenknecht-Partei drängen und die Frau und Gründerin, die, wie es zuweilen zumindest scheint, glaubt, Parteien könne man nach eigenem Gusto stricken und führen, beizeiten zur Seite drängen. Aber das ist sie ja gewohnt.

Die Entwicklung bleibt jeden Fall spannend; und das ist immerhin ein kleiner Trost in dieser freudlos-bundesdeutschen Gegenwart. Abzuwarten bleibt aber immer noch, wie die FDP weiter (re)agiert.

Es überrascht dabei wenig, dass die FDP-Basis hier näher an der Realität ist als die Parteispitze tief in ihrer Berliner Blase. Nach Lage der Dinge kann man davon ausgehen, dass die FDP-Basis hier einen Kurswechsel anmahnen wird (mehr als mahnen kann sie nicht). Eine Abkehr vom angekündigten Selbstmord also. Ob dies fruchtet – man wird sehen.

Die Welt (28. November): „Kindergrundsicherung: Jetzt bricht Paus ein Kernargument für die milliardenschwere Kindergrundsicherung weg.“

Zum Schluss: Viel ist derzeit die Rede von einer De-Industrialisierung in Deutschland und damit einhergehenden Verlusten von Arbeitsplätzen.

Grämen muss das nicht, denn auch hier gilt wie in vielen anderen Politikbereichen im Deutschland von heute: Der Staat fängt es auf. Oder im VWLer-Deutsch: Crowding out.

Beispiel gefällig? Die neue Kindergrundsicherung, Lieblingsprojekt der grünen Familienministerin Paus. Um die vielen Milliarden, die dann neu verteilt werden sollen, nachdem der Staat sie zuerst Menschen und Wirtschaft entzogen hat, benötigt die Bundesregierung was? Natürlich eine neue Behörde!

Diese braucht selbstverständlich Mitarbeiter, d.h. Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst. Deren Anzahl soll betragen: sage und schreibe offenbar über 5300 Posten. Dafür kann die deutsche Industrie, jüngst zum Beispiel Michelin, schon ein paar Werke zumachen. Der Staat kompensiert das schnell mit neuen Bürokraten.

Apropos Bürokratie. Man ist geneigt, darin schnell ein deutsches Problem so sehen. Dem ist aber nicht so. Eine alte Kassandrische Faustregel besagt: Es gibt in der Bürokratie europa- und weltweit ein Süd-Nordgefälle, oft mit einer Parallele einhergehend: je geringer eine Volkswirtschaft entwickelt ist, desto überbordender die staatliche Bürokratie.

Wenn es danach geht, dann ist Deutschland offenbar auf einem guten Weg. Kassandra bleibt jedenfalls vorsorglich dabei:

Realsatire im Run off.

Mehr zu dem zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.

Deutschland, Frankfurt Hbf an einem Sonntag im November 2023.
Foto. Bazzazi. Bild zur Volldarstellung anklcken.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

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